3. September 2025

„Wir bauen Agenten nicht um der KI willen, sondern für eine bessere UX.“

Redaktion
Julia KellerMarketing & Communications

Christian Klugert, Director UX bei Experience One, im Gespräch über KI als Gestaltungskomponente in der User Experience, warum sie UX Professionals zwingt, tiefer in die Problemlösung einzusteigen und sie trotzdem nicht überall zum Einsatz kommen sollte. Er erläutert, wie eine vertrauensvolle KI gestaltet werden kann, die trotz ihrer wachsenden Autonomie menschzentrierte Nutzendenerlebnisse ermöglicht.

Herr Klugert, welche Bedeutung hat Agentic AI aus Ihrer Sicht für die UX-Arbeit?

Agentic AI verändert die UX-Arbeit grundlegend. Wir bewegen uns weg von der Gestaltung klassischer, statischer Benutzeroberflächen hin zu dynamischen, dialogischen Beziehungen zwischen Mensch und Maschine. Das bedeutet auch, dass UX-Design künftig nicht mehr primär visuell oder funktional gedacht wird, sondern noch kontextsensitiver, systemischer und ganzheitlicher – mit dem Menschen im Mittelpunkt. Künstliche Intelligenz wird dabei zu einer neuen Gestaltungskomponente. Statt wie bisher komplette Flows im Voraus zu definieren – etwa bei der Hotelbuchung über feste Eingabemasken, in denen Nutzende ihre Ankunftszeit, Zimmerwünsche oder persönliche Daten manuell eintragen – kann KI zukünftig aus wenigen Angaben zur Person und zu den Reiseabsichten Rückschlüsse auf Intentionen ziehen, den Kontext interpretieren und individuell beraten. Der Prozess wird dadurch nicht nur effizienter, sondern auch deutlich persönlicher.

Auch die Arbeitsweise im UX Design verändert sich – KI entlastet von Routinetätigkeiten und ermöglicht eine vertiefte Auseinandersetzung mit konzeptionellen Fragen. Gleichzeitig kann sie ein wertvoller Sparringspartner im kreativen Prozess sein und dabei helfen, eigene Ideen kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Dadurch verlagert sich unser Fokus noch stärker auf die Analyse von Nutzungskontexten, das tiefe Durchdringen von Problemstellungen und die Entwicklung intelligenter, adaptiver Lösungen. Wir kommen wieder zurück zur konzeptionellen Essenz – zu den Fragen nach dem Sinn, dem Kontext, dem Zweck. Das macht unsere Arbeit nicht nur effizienter, sondern auch bewusster und inhaltlich noch relevanter.

Wie genau verändert sich durch Agentic AI die Art, wie Sie im Designprozess arbeiten?

Ein gutes Beispiel ist die Konzeption unseres KI-gestützten Landingpage-Generators. In der klassischen Herangehensweise hätte ich mich zunächst gefragt: Welche Inhalte müssen auf der Seite ausgegeben werden, welche Struktur bietet sich dafür an, wie sieht das visuelle Layout dazu aus? Darauf basierend hätte ich die ersten Screens entworfen. Heute fängt der Prozess nun zwingend viel früher und wesentlich konzeptioneller an. Es reicht nicht aus, die KI zu instruieren mit: „Erstelle eine Landingpage für Produkt X“. Ich muss mich intensiv damit beschäftigen und erklären, warum gewisse Elemente wie bspw. eine Headline existieren und welche Wirkung und Bedeutung ich ihnen verleihen will.

Das zwingt uns, tiefer in die Problemlösung einzusteigen. KI bringt uns dazu, gelernte Muster zu hinterfragen, Annahmen kontinuierlich zu überprüfen und Intentionen expliziter zu formulieren. Die Gestaltung wird dadurch nicht beliebig – im Gegenteil: Sie wird präziser, weil sie aus einer klaren inhaltlichen Haltung heraus entsteht.

Wir sollten nicht KI einsetzen, weil sie neu ist, sondern weil sie ein reales Problem löst.
Christian Klugert, Director UX Experience One

Was können UX-Teams heute konkret tun, um sich auf den Umgang mit Agentic AI vorzubereiten?

Der wichtigste Schritt ist: anfangen. UX-Teams sollten aktiv erste Erfahrungen mit generativer KI sammeln – durch Ausprobieren, durch kleine Experimente und vor allem durch den Austausch im Team. Nur wer selbst mit KI arbeitet, kann ihr Potenzial wirklich einschätzen und zielführend nutzen. Entscheidend ist dabei ein systematischer, analytischer Zugang. UX-Arbeit war schon immer geprägt von der Fähigkeit, Anforderungen präzise zu erfassen, sie strukturiert aufzubereiten und in sinnvolle Prozesse zu überführen – genau diese Fähigkeiten sind jetzt besonders gefragt. Bei neuen Projekten sollte zu Beginn geprüft werden, ob KI zur Unterstützung oder Automatisierung von Aufgaben eingesetzt werden kann und in welcher Form, etwa durch einen Chatbot oder einen autonomen Agenten. Ziel ist stets die Lösung eines realen Problems oder die Schaffung eines Mehrwerts, nicht die Technologie selbst. Ein plaktives Beispiel: Manche Abteilungen erhalten täglich 85 Anfragen und würden daher wahrscheinlich von automatisierten Prozessen profitieren. Andere hingegen führen zwei Gespräche am Tag – dort ist der persönliche Kontakt der größere Mehrwert. Diese Unterscheidung ist wichtig. Wir sollten nicht KI einsetzen, weil sie neu ist, sondern weil es sinnvoll ist.

Ein pragmatischer Einstieg besteht also darin, mögliche Unterstützungspotenziale systematisch zu erfassen – menschzentriert, mit Blick auf Nutzen und Wirkung. Bei der Modellierung komplexer Workflows spielt KI zudem aktuell eine besondere Rolle: weg von linearen, schrittweisen Abläufen hin zu dynamischen, verzweigten Prozessketten, in denen KI-Assistenten oder künftig auch KI-Agenten aktiv mitgestalten. Um bei dem Beispiel Landingpage-Generator zu bleiben: Es geht nicht darum, ein Template mit Inhalten zu befüllen und den Content danach live zu stellen. Es geht vielmehr um prozessuale Erkenntnisse, wie überhaupt eine Landingpage aus Sicht der Nutzenden und der Organisation entsteht. Was passiert, wenn ein Verantwortlicher noch kein konkretes Thema entwickelt hat? Wie kann das System helfen, ein passendes Thema zu finden, das zur Kommunikationsstrategie passt? Aus allen Erkenntnissen entsteht am Ende ein vielschichtiger Workflow, der idealerweise die Stärken von Mensch und KI aufeinander abstimmt, so dass man sich gegenseitig bestmöglich bei der Zielerreichung ergänzt.

Das ganze Interview mit Christian Klugert gibt’s in unserem Whitepaper „Road to Agentic AI. Faszination Automatisierung“.

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