5. November 2024

KI-gestützte Energieberatung: Customer Experience der nächsten Generation

Autorin
Luise HübbeGeschäftsführung

Seit Jahren setzt die Energiebranche bereits auf Künstliche Intelligenz (KI) für die intelligente Energieverteilung, die Steuerung der Netzbelastung und den Schutz vor Cyberangriffen. Doch die neue KI-Generation rund um ChatGPT, Midjourney und Co. läutet eine völlig neue Ära ein. Sie hebt die Potenziale der Technologie auf ein anderes Level – vor allem für die Kundeninteraktion – und wird damit auch für Energieversorger zum entscheidenden Hebel, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.

Laut einer Digitalisierungsstudie des Beratungshauses PwC ist ein herausragendes Kundenerlebnis für 73 % der Befragten ein entscheidender Faktor bei der Kaufentscheidung. Wer ein positives Kundenerlebnis bietet, kann sogar bis zu 16 % höhere Preise durchsetzen. Dabei zählt vor allem die Geschwindigkeit: Die Erwartungen an bessere, individuellere Beratung, schnellere Reaktionszeiten bei Serviceanfragen sowie bessere Dienstleistungen um das Kernprodukt herum steigen stetig. Die Möglichkeit intelligente KI-Assistenten genau in diesem Bereich einzusetzen, wird die Messlatte für Unternehmen schnell höherlegen. Das Potential das Kundenerlebnis mit Hilfe generativer KI an diversen Stellen zu verbessern, ist enorm und geht über reine Chatbot-Anwendungen hinaus. Die Nutzung von Verbrauchsdaten als Basis für die individuelle Kundenberatung ist dabei nur ein weiteres Feld.

Viele Unternehmen erkennen diesen Trend ebenfalls: Laut einer Gartner-Umfrage gaben knapp fünf Monate nach dem Launch von ChatGPT bereits fast die Hälfte der Führungskräfte an, ihre Investitionen in KI aufgrund dessen erhöht zu haben. Dabei standen das Kundenerlebnis und die -bindung klar im Fokus der KI-Investitionen. Unternehmen, die sich heute noch nicht mit den Möglichkeiten der Technologie auseinandersetzen, werden bereits mittelfristig reale Wettbewerbsnachteile spüren. Auch für die Energiewirtschaft wird es höchste Zeit!

Der Startpunkt: internes Wissensmanagement

Aktuell werden generative KI-Modelle von Unternehmen vor allem als Effizienz-Treiber eingesetzt. Einer Studie der Boston Consulting Group zufolge erzielen Mitarbeiter*innen, die KI-Tools verwenden, bis zu 40 % bessere Ergebnisse. Dabei können sie bis zu 12 % mehr Aufgaben erledigen – etwa durch automatisierte und optimierte Online-Anzeigen oder auch das Coding für Websites und Plattformen im Marketing. Der E.ON-Konzern arbeitet bereits seit Dezember vergangenen Jahres mit einer unternehmenseigenen KI. "E.ON GPT“ unterstützt Mitarbeiter:innen des Energieanbieters beispielsweise bei Recherchetätigkeiten, der Textverarbeitung sowie „als virtueller Sparringspartner bei energiewirtschaftlichen Fragen“. Wenngleich sich interner Wissensaustausch und Automatisierung für die erste Annäherung an die Technologie auf jeden Fall anbieten, ist das volle Potenzial damit noch lange nicht ausgeschöpft. Auch in der direkten Interaktion mit den Kund*innen werden wir bereits in naher Zukunft die ersten Anwendungen sehen.

KI als „Übersetzer“ für komplexe Themen

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft identifiziert auf dem Weg zur digitalen und ökologischen Transformation der Energiewirtschaft die Kundenorientierung als eines der drei wesentlichen Handlungsfelder.

Gerade generativer KI kommt dabei große Bedeutung zu, denn durch sie entsteht eine völlig neue Chatbot-Generation. Aktuell liefern Chatbots streng vorgegebene Gesprächsverläufe, bei denen der Nutzer aus vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wählt und am Ende einen Link zu einer (möglicherweise) passenden Landingpage erhält. In Zukunft sind intelligente KI-Assistenten in der Lage, Kundenanfragen so zu beantworten, wie wir es tun würden: im Dialog.

Hinter jeder Anwendung steht dabei ein zentrales Sprachmodell. Diese Large Language Models (LLMs) bilden die Basis, um komplexe Konversationen zu führen, individuelle Lösungen zu liefern und auf weitergehende Quellen zu verweisen. Energieunternehmen, die einen intelligenten Assistenten aufsetzen wollen, brauchen als Basis eine markeneigene Unternehmens-KI. Der Schlüssel liegt dabei nicht im Modell selbst, sondern in dessen Training mit inhaltlich geprüften Daten. Das Neue daran: Diese Daten können auch in „unstrukturierter Form“ vorliegen, also zum Beispiel als Websitetext, Kundenbroschüre, Handbuch oder Gesprächsverlauf aus dem Kundenservice. Darauf basierend liefert die KI fundiertes Fachwissen und verständliche Erklärungen auf spezifische Fragestellungen. Damit haben wir zum ersten Mal eine Technologie an der Hand, um die digitale Kundeninteraktion neu zu denken und sie menschenzentriert, natürlich und hochpersonalisiert zu gestalten. Stellen Sie sich vor, sie hätten eine 1:1-Betreuung für jeden Kunden, Millionen persönliche Gespräche, ohne lange Google-Recherche, endlose Klicknavigation oder Warteschleife. Einen KI-Assistenten, der jede Anfrage geduldig und immer im richtigen Ton beantwortet, den Kund:innen schnell und unkompliziert weiterhilft und sie dazu befähigt, fundierte Entscheidungen auf Basis fundierter Informationen zu treffen.

Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich Generative KI aktuell besonders für Use Cases, bei denen es darum geht, Informationen synthetisiert auszuspielen. Auch im transaktionalen Bereich kann die Technologie bereits gut unterstützen – zum Beispiel beim Ausfüllen von Formularen oder Förderanträgen. Für ein positives Nutzererlebnis sind jedoch die Aspekte Autonomie und Sicherheit unerlässlich. Was heißt das konkret? Die KI darf das Formular gerne ausfüllen. Überprüfen und absenden, möchten Nutzer:innen es aktuell noch gerne selbst. Ihre Grenzen erreichen KI-Assistenten, wenn es um kritische und emotionale Themen geht, die ein hohes Sicherheitsbedürfnis adressieren. In Situationen, in denen es auf Mitgefühl und Lebenserfahrung ankommt, wird immer ein menschliches Gegenüber gefragt sein.

Energieberatung der nächsten Generation

Wie also sieht der intelligente Energieberater der Zukunft aus? Angereichert mit Websiteinformationen und anonymisierten Daten aus dem Kundenservice – etwa den am häufigsten gestellten Fragen inklusive passender Antworten – können Energieunternehmen KI-basierte Chatbots und intelligente Plattformen direkt angehen. So entsteht eine umsetzbare KI-Lösung für eine gezielte und intelligente Beratung. Durch die unmittelbare und verständliche Bereitstellung aller relevanten Informationen sowie den dialogischen Austausch werden Kund:innen auf ihrem Weg zum passenden Produkt begleitet und erhalten die nötige Transparenz für nachhaltige Kaufentscheidungen.

Das gilt nicht nur für den richtigen Stromvertrag. Die Politik wünscht sich eine schnelle Wende, aber bei vielen Verbraucher:innen herrscht Unklarheit darüber, wie Solaranlagen oder Wärmepumpen funktionieren, ob bzw. welche Technologie sich für die eigene Wohnsituation eignet und welche Vorteile sie langfristig mit sich bringt. Hier kann die KI unterstützen und komplexe Zusammenhänge einfach und nutzerzentriert erklären. Besonders beim Kauf von Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen sowie den damit verbundenen Förderungen, verlieren Energieversorger aktuell oft Kund:innen an spezialisierte Anbieter. Eine intelligente Energieberatung kann hier den entscheidenden Hebel setzen, um aufzuholen.

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